Etwas über ein halbes Jahr nach der Wiedervereinigung Deutschlands wurde deutsch-polnische Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit geschlossen. Artikel 25 (3,4) dieses Vertrages verpflichtet beide Länder zur Unterstützung des Unterrichts der Sprache der Minderheit:
3. Die Vertragsparteien setzen sich nachdrücklich dafür ein, die Möglichkeiten auszubauen, in Schulen, Hochschulen und anderen Bildungseinrichtungen die Sprache des anderen Landes zu erlernen. Dabei wird auch die Gründung von Schulen angestrebt, in denen in beiden Sprachen unterrichtet wird. Weiterhin werden sie sich bemühen, die Möglichkeiten des Studiums der Germanistik und Polonistik an den Hochschulen des anderen Landes auszuweiten.
4. Die Vertragsparteien werden bei der Entsendung von Lehrern, der Aus- und Fortbildung von Lehrkräften sowie der Entwicklung und Bereitstellung von Lehrmaterial, einschließlich des Einsatzes von Fernsehen, Hörfunk, Audio-, Video und Computertechnik zusammenarbeiten.
Die Einhaltung der gegenseitigen Verpflichtungen fällt sowohl in Polen als auch in Deutschland sehr unterschiedlich aus und hängt im wesentlichen von den zur Verfügung gestellten Mitteln und dem Engagement der einzelnen Bundesländer, Städte und Gemeinden ab. Die Situation in Deutschland wird zusätzlich dadurch kompliziert, dass die Polen in Deutschland nicht offiziell als nationale Minderheit anerkannt werden und die Entscheidungen, die die Einhaltung des Vertrags betreffen, dezentral auf Landesebene getroffen werden. Das erfordert wiederum, dass die Polen in Deutschland lokale Strukturen, Repräsentationen und den Dialog mit deutschen Partnern auf lokaler Ebene aufbauen müssen, um mit den deutschen Partnern kooperieren zu können. Gleichzeitig vernetzen sich die polnischen Organisationen in ganz Deutschland und koordinieren dann ihre Aktivitäten bundesweit.
Der Verein WIR zur Förderung der deutsch-polnischen Zweisprachigkeit wurde am 11. November 2016 gegründet. Am Anfang trafen sich drei Mütter. Jede von ihnen versammelte auf ihre Art und Weise weitere polnischsprachige Eltern und ihre Kinder. Es vereinte sie ein gemeinsames Ziel – sie wollen die bewusste Zweisprachigkeit und bikulturelle Erziehung ihrer Kinder fördern. Darüber hinaus möchten sie ihren Kindern Offenheit, Wertschätzung und Respekt gegenüber allen Sprachen und Kulturen vermitteln. Allen war klar, dass für die meisten Kinder Polnisch die Muttersprache der Eltern ist, so wie Polen das Heimatland der Eltern ist. Die Sprachen der Kinder jedoch sind Deutsch und Polnisch (in dieser Reihenfolge) und ihre Identität ist transkulturell, also irgendwo zwischen Polen und Deutschland. Dass dieses „Zwischen“ einen Mehrwert und eine Chance darstellt, davon waren alle fest überzeugt.
Wir wollen:
• die Zweisprachigkeit der Kinder altersgerecht fördern und
• ihre Freude an der polnischen und deutschen Herkunft gleichermaßen unterstützen,
• die Kinder ermutigen, ihre eigenen Verbindungen zwischen den zwei Sprachen und Kulturen zu entdecken, fern von Stereotypen, ausgedienten Klischees und künstlichen Hierarchien
– das bleibt unser Ziel und unsere Herausforderung.
Ferner setzen wir uns für die Stärkung des Polnischen als Herkunftssprache in Hamburg und Umgebung ein. Schließlich bilden die Polen hier die zweitgrößte Ausländergruppe.
Im Dezember 2017 fand die erste Mitgliederversammlung des WIR e.V. statt. Seitdem sind die Begegnungen der wichtigste Bestandteil unserer Tätigkeit – Treffen der Kinder, die mit großer Freude mit ihren Altersgenossen mit ähnlicher Sprachbiografie spielen, Begegnungen gleichgesinnter Eltern, die sich gegenseitig unterstützen und sich über ihre Erfahrungen austauschen und Begegnungen aller an Polen und Polnisch Interessierten in Hamburg. Aus diesen Begegnungen entstehen neue Ideen, aus diesen Ideen neue Projekte, die wiederum für neue Begegnungen sorgen. Und das ist auch unser Ziel. Und darum geht es uns auch!